News // 29.07.2022

“Wenn alle happy sind, ist mir egal, was da vorne rauskommt”

Ein Interview mit Ilja Gabler

Ilja Galber ist für die Bands der Kulturarena der erste Ansprechpartner und kümmert sich um ihre kleinen und großen Sorgen. Begonnen hat er als einfacher Helfer, bewachte Notausgänge, riss Karten ab und beerbte schließlich Oliver Jahn als Stage Manager. Was genau sich hinter diesem Anglizismus verbirgt und warum ihn das Publikum nur selten zu Gesicht bekommt, hat er mir bei einem Kaffee und einer Mate in seiner Küche verraten.

Wie sieht so ein typischer Arena-Arbeitstag bei dir aus?

In der Regel bin ich gegen 14 Uhr auf dem Gelände. Ich habe zwei Stagehands [Bühnenhelfer] bei mir, mit denen mache ich Klar schiff, kleine Aufräumarbeiten, Bühne wischen – quasi alles, was wir am Vortag nicht geschafft haben. Bevor die Bands kommen, schauen wir auf dem Rider, was wir schon vorbereiten können und kommunizieren die Anforderungen mit den Kollegen von der Technik. Später nehme ich die Bands direkt in Empfang. Da habe ich so einen kleinen Fragenkatalog zu technischen und zeitlichen Abläufen. Wir helfen auch meist beim Ausladen, das ist mal mehr, mal weniger.

Wir gehen dann den Musikern beim Aufbau zur Hand. Die großen Produktionen haben da meist ihre eigenen Leute mit, sodass wir in eine Art Standby gehen und ansprechbar bleiben, falls doch noch Hilfe gebraucht wird oder etwas aus der Stadt besorgt werden muss.

Ilja im Bühneneinsatz. Vorbereitungen für den Abend. (c) Christoph Worsch

Während die Bands spielen, haben wir die Bühne im Blick und sind dezent da, falls unsere Hilfe gebraucht wird. Um 22 Uhr muss dann wirklich Schluss sein. Wenn sie dann noch einmal runter ins Publikum gehen und noch zwei, drei Minuten machen, ist das okay, aber die Anwohner haben ein Recht auf Ruhe und das muss man respektieren. Es ist wichtig, das den Bands zu vermitteln. Für die ist das toll, mitten in der Stadt zu spielen. Da muss man darauf hinweisen, dass da rundherum Menschen wohnen, die das vielleicht nicht alle toll finden und deshalb machen wir um 22 Uhr Schluss.

Wenn wir dürfen, helfen wir den Bands beim Abbau. Manche Produktionen wollen das aber nicht, weil sie an anderen Orten schlechte Erfahrungen gemacht haben. Aber es gibt Bands, wie bei BOSSE zum Beispiel, die kennen uns und die freuen sich, wenn sie nicht alles allein zusammenpacken müssen. Dann machen wir noch schnell die Bühne klar für den nächsten Tag. Und wenn das geschafft ist, sitzt man noch ein wenig zusammen. Das ist immer ganz schön, am Ende noch einmal runterzukommen und manchmal auch gefährlich.

Wie viel an deinem Job ist Kommunikation und wie viel physische Arbeit?

Durch die Arbeit als Bühnenverantwortlicher ist die Kommunikation schon mehr geworden, aber es ist nicht zu vergleichen mit anderen Festivals. Wir müssen nicht 15 Bands an einem Tag nacheinander auf die Bühne bringen. Das ist auch das Schöne, aber manche Bands brauchen wirklich lange, um das zu verstehen. Die sind so in ihrem Festival-Rhythmus, dass die um 11 Uhr auf die Bühne wollen und wir denen erstmal sagen, dass sie die einzige Band des Abends sind. Manchmal möchten die auch einfach etwas zu tun haben und ich kann das verstehen, wenn man normalerweise auf freiem Feld ist. Aber hier in Jena kann man in einen Park gehen oder durch die Stadt tigern.

Harte körperliche Arbeit ist es eigentlich nur, wenn ein großer LKW ankommt. Da helfen aber immer viele Leute mit und auch unser Produktionsleiter Kristjan ist sich da nie zu schade. Der hat auch Bock, mal aus dem Büro rauszukommen und dabei zu sein.

Bühnenarbeitsplatz. Zumindest die Sicht ist hier gut. Bild etwas unscharf. Was soll's.

Hast du Tipps für Bands, wenn es darum geht, Zeit in Jena zu verbringen?

Das Paradies bietet sich immer an und es gibt natürlich auch Kneipen für danach, wenn die nicht sofort in den Nightliner [Tour-Bus] müssen. Meistens laufen die einfach los.

Große Produktioenn mit vielen Leuten sind aber teilweise wie eine Bubble. Da hat man nur mit den wenigen für den Ablauf verantwortlichen Personen zu tun. Das ist oft schade, aber ich kann das verstehen. Die Leute sind dann trotzdem nett, aber richtige Kommunikation findet da nur mit dem Produktions- und technischen Leiter der Band statt.

Ich könnte mir vorstellen, dass einige Bands gestresst ankommen, dann feststellen, dass es in Jena etwas anders läuft und hinterher doch versöhnt sind.

Ich muss sagen, die meisten Bands, unabhängig davon, ob es eine große oder kleine Produktion ist, sind extrem nett und schnallen das. Und bei denen, die es nicht schnallen, ändert sich das auch nicht. Da bin ich dann um 12 Uhr da, lasse sie auf die Bühne und räume in der Zeit auf, oder überlege mir, wie irgendwas noch besser funktionieren kann.

Die meisten checken das aber sofort: “Wir sind nur eine Band, dieser Backstage, mitten in der Stadt, geil, geil, geil.” Ich habe das Gefühl, wir machen da viel richtig. Wir hatten letztes Jahr eine Band, die sind das erste Mal zusammen aufgetreten und den technischen Rider hatte der Musiker geschrieben. Wir haben tausend Mal umgesteckt und der Monitor-Mann war schon leicht genervt, aber wir haben das durchgezogen und denen geholfen, dass die entspannt auf die Bühne können und ich glaube, das machen nicht viele Festivals so. Denen fehlt oft einfach die Zeit.

Wir wollen, dass das für alle ein schöner Abend wird, das ist ja unser Job, oder vielmehr unser Ansinnen. Man darf es nicht übertreiben und muss auch klare Grenzen ziehen, aber wenn jemand hilfebedürftig ist – ey, dann muss man doch helfen! Letztlich wurde es ein toller Abend. Das Publikum hat sich gefreut, die Band hat sich gefreut und sich tausendmal bedankt. Das war am Ende ein gutes Gefühl.

Die Arbeit für die Künstler und Künstlerinnen der Kulturarena. Und für das gute Gefühl.

Welche Bands haben dich musikalisch am meisten beeindruckt?

Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, aber ich fand zum Beispiel Anna Calvi super krass. Die kannte ich nicht. Das war eine kleine, sehr zurückhaltende und introvertierte Frau und auf der Bühne ist die explodiert und hat volle Energie gegeben. Auf CD wäre das nichts für mich, aber wie sie die Musik live rübergebracht hat, war der Killer – die totale Rampensau im positiven Sinne. Go Go Penguin waren auch echt super.

Ein Problem ist für mich geworden, dass alle In-Ear Monitoring nutzen, dadurch kann man zum Teil auf der Bühne nicht alles hören.

Es gab viele gute Sachen und Sachen, die einen nicht vom Hocker werfen. Man muss bedenken: Ich treibe mich seit 1996 auf Bühnen rum und habe dadurch viel gehört und gesehen.

Ich finde es aber immer klasse, wenn die Leute richtig nett sind. Wenn man miteinander einen Abend gestaltet, alle happy sind und auf Augenhöhe reden, ist mir total egal, was da vorne rauskommt. Und wenn dann noch das Publikum happy ist, na dann ist das doch super.

Ich würde mir vielleicht wünschen, dass diese Deutschpop-Richtung wieder etwas abnimmt und mehr Leute spielen, die erst später berühmt werden, so eine Art Talent-Scouting-Festival. Aber es ist auch schwer, sechs Wochen Programm zu basteln und es jedem recht zu machen. Und Lutz Engelhardt trifft schon sehr viele Geschmäcker.

Anna Calvi – Don't beat the girl out of my boy; Hyundai Mercury Prize 2019

Du stehst während des Konzerts also auf der Bühne?

Ja, die meiste Zeit schon. Gerade, wenn die Bands alleine kommen, dann bin ich immer in der Nähe. Wenn da was passiert, muss einfach jemand reagieren. Eine Brassband hatte zum Beispiel Funkmikros an den Instrumenten. Denen sagt man zig Mal, dass sie ihren Funk einschalten sollen, bevor es losgeht. Und der Tubist ging auf die Bühne und hatte das natürlich vergessen. Da geht man schnell hin und schaltet das ein. Das sind so kleine Sachen.

Bei großen Produktionen, die alles selbst mitbringen, muss ich nicht auch noch auf der Bühne rumstehen. Dann gebe ich durch, wo man mich finden kann, wenn ich mal gerade nicht auf der Bühne bin, behalte aber alles im Blick und bin ansprechbar. Und natürlich hat man die ganze Zeit ein Auge auf das Wetter.

Da fällt mir noch eine Story zu Afrob ein.

Erzähle!

Im Haus ist Rauchen verboten, man muss also hinter’s Haus gehen. Das Problem ist aber, wenn man raus geht und die Tür zufällt, kommt man nicht mehr rein. Ich habe das eigentlich im Blick, schaue, wer da rauchen geht und dass die Leute wieder reinkommen, aber er ist mir irgendwie durchgerutscht. In einem Break ist er raus, hat eine Zigarette geraucht und die Tür fiel zu. Er ist dann einmal um das gesamte Gelände gesprintet, am Einlass wieder rein, durch die Menge hindurch und vorne spielten sie schon den Song und haben auf ihn gewartet. Das gab ein großes Hallo auf der Bühne.

Der Arbeitsplatz. (c) Christoph Worsch

Viele Beteiligte der Kulturarena haben über die Jahre in verschiedenen Positionen gearbeitet. Wie war das bei dir?

Ich habe auch als Zusatzhelfer angefangen – Karten abreißen und die Notausgänge bewachen. Das ist nicht der coolste Job, aber das muss auch gemacht werden und die Leute, die dort sitzen, müssen wissen, dass das wichtig ist. Das habe ich eine Weile gemacht, dann eine Zeit aufgehört, bin dann wieder eingestiegen und nach einem Jahr Stammhelfer geworden. Seitdem Olli [Jahn] das nicht mehr macht, bin ich Bühnenmanager.

Heutzutage ist es eher schwierig Leute zu finden, die den Zusatzhelferjob machen. Das ist nicht der allerbeste Job, aber der wird ganz gut bezahlt und es ist eine angenehme Arbeit. Du hörst und siehst Musik und da sind Sachen dabei, die du sonst nie gesehen hättest und die ganz geil sind. Außerdem arbeitet man mit coolen Menschen zusammen. Es ist ja eine Gang von Leuten, die das seit Jahren macht, die, wie ich, eine “richtige” Arbeit haben und sich extra Urlaub nehmen, weil sie das schön finden, dort zu arbeiten. Das ist so ein richtiger Freundeskreis. Mittlerweile muss ich mir zum Teil Spitzen von Freunden anhören, weil sich im Team der Kulturarena ja alle so gut verstehen.

Vielleicht reichen dann auch sechs Wochen und zwölf wären zu viel, aber ich komme da nicht in einen Trott. Man muss eher schauen, dass man abends nicht zu lang sitzen bleibt, weil es so angenehm ist.

Ein Teil der Gang. Die Gesichter offenbaren die Gefahr. Könnte später werden an diesem Abend. (c) Christoph Worsch

Wertet man da den Tag aus oder spricht man über Privates?

Wenn besondere Sachen vorgefallen sind, redet man natürlich darüber, aber ansonsten bespricht man solche Dinge eher am nächsten Tag. Eigentlich ist das eher so ein privates Ding. Leute wie Anna [Fuhlbrügge] und Kristjan [Schmitt] sehe ich fast nur dort in diesen sechs Wochen. Ähnlich ist es mit den Kollegen von Adapoe. Seit Jahren ist es nahezu die gleiche Crew. Wenn man sich so lange nicht gesehen hat, gibt es immer die ein oder andere Geschichte zu erzählen.

Bühnenbank. Sieht trist aus? Beim ArenaTeam weckt dieser Anblick ganz andere Emotionen. (c) Christoph Worsch

Hinter diesem spannenden Interview steckt Florian Ernst:

30 Jahre Kulturarena – gemeinsam mit Friedrich Herrmann genieße ich ein Privileg, das sonst der „Sendung mit der Maus“ vorbehalten ist und darf hinter die Kulissen blicken. Ich freue mich auf die Eindrücke und darauf, sie zu teilen.

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